Am 5. Mai 2018 vor 200 Jahren wurde Karl Marx geboren. Und vor über 150 Jahren – nämlich im September 1867 – erschien in Hamburg eines der bedeutendsten Werke von Karl Marx. Wie aktuell Analysen in diesem Buch noch heute für den Arbeitsschutz sind, habe ich im ersten Kapitel meines Buchs „Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben. Gute Arbeit und Kapitalismuskritik“ versucht darzustellen. Titel und Motto meines Buchs sind dem Marxschen Werk entnommen.

„Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird.“ Karl Marx: Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 285

Schon wenige Zeilen später fügt Marx den Hinweis hinzu, dass diese Rücksichtslosigkeit „im großen und ganzen … nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten“ abhänge, sondern von den „immanenten Gesetze(n) der kapitalistischen Produktion“, die  „dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz“ wirken.

Marx hat die Beeinträchtigungen und Schädigungen der Gesundheit der Arbeitenden durch die Industrialisierung unter dem Begriff „industrielle Pathologie“ analysiert. Die Ursachen für die „Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft“ (MEW 23: 529) sieht Marx in den ökonomischen Gesetzen der Kapitalverwertung. Das Streben nach „rationeller und sparsamer Anwendung seiner Arbeitsbedingungen“ (MEW 25: 96) stellt sich für den Arbeiter als „Unterdrückung aller Vorsichtsmaßregeln zur Sicherheit, Bequemlichkeit und Gesundheit“ (Ebenda 99) und „Raub aller normalen Arbeits- und Lebensbedingungen“(MEW 23: 494) dar, wodurch sich die „Ökonomie in den Produktionsbedingungen“ nachhaltig auf die „Existenz- und Lebensbedingungen des Arbeiters“ (MEW 25: 98) auswirkt.

Umgekehrt lernt jeder Arbeiter relativ schnell, dass er in der Lage sein muss, „morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und Frische zu arbeiten, wie heute“, dass er mit seiner Arbeitskraft „haushalten“ muss und „täglich nur soviel von ihr flüssig machen, in Bewegung, in Arbeit umsetzen (darf), als sich mit ihrer Normaldauer und gesunden Entwicklung verträgt“. (MEW 23: 248) Das Maß des Arbeitstages, die Intensität der Arbeit, der Schutz der Gesundheit der Beschäftigten – also „Nachhaltigkeit“ und „gesundes Maß“ der Arbeitsverausgabung – werden damit zwangsläufig zum elementaren Feld der Auseinandersetzung zwischen Lohnarbeit und Kapital.

Neben den drastischen physischen Gefährdungen finden sich bei Marx auch schon Hinweise auf die Belastungen der psychischen Gesundheit.  So beklagt er die „Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften“ (MEW 23: 383) und die „physische und geistige Verkümmrung, vorzeitigen Tod, Tortur der Überarbeit“ (ebenda 286), was alles dazu führe, dass die kapitalistische Produktionsweise „weit mehr als jede andre Produktionsweise, eine Vergeudung von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn“ sei (ebenda 99).

Marx entwickelt aus dieser Analyse die Schlussfolgerung, dass sich daraus auch die Notwendigkeit rechtlicher Regelungen zum Schutz der Arbeitenden vor Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeit und Schädigung ihrer Gesundheit nicht nur im Interesse der Betroffenen selbst und der Gesellschaft insgesamt ergebe, sondern dass die allgemeine Verbindlichkeit des Arbeitsschutzes letztlich auch dem Interesse „der Kapitalisten selbst nach Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d.h. gleichen Schranken der Arbeitsexploitation“ (MEW 23: 515) entspreche.

Der Umstand, dass die Gesellschaft – in harten Auseinandersetzungen – dem Kapital verbindliche „Gesundheitsklauseln“ aufzwingen musste, kommentierte Marx wie folgt: „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?“ (MEW 23: 505) Die Unfreiwilligkeit wird auch in einem von ihm zitierten Kommentar der„Times“ am 5. November 1861 wie folgt zugestanden: „Obgleich die Gesundheit der Bevölkrung ein so wichtiges Element des nationalen Kapitals ist, fürchten wir, gestehn zu müssen, dass die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand sind, diesen Schatz zu erhalten und wert zu achten … Die Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiter wurde den Fabrikanten aufgezwungen.“ (zi.t. n. MEW 23: 285 (Fußn.))

Marx wertete die Fabrikgesetzgebung in England als den frühesten Versuch einer Regulierung der Arbeit, die „erste bewusste und planmäßige Rückwirkung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt ihres Produktionsprozesses“. (MEW 23: 504) Und die ebenfalls in England zuerst realisierte gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit durch den „Zehnstundenbill“ bezeichnete Marx sogar als „Sieg eines Prinzips“, nämlich als Durchsetzung der „politischen Ökonomie der Arbeiterklasse“ gegenüber der des Kapitals. (MEW 16: 11) Gleichzeitig macht Marx auf den auch heute geläufigen Umstand aufmerksam, dass solche erkämpften Erfolge immer wieder vom Kapital unterlaufen werden. So wird etwa die Begrenzung der Arbeitszeit mit einer „dichteren Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit“ beantwortet. „Neben das Maß der Arbeitszeit als ‚ausgedehnter Größe’ tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads.“ (MEW 23: 432)

Damit sind wir mitten in den aktuellen Auseinandersetzungen um Arbeitszeit und Leistung. Weitere Informationen hier.